Neue Kormoran-Brutkolonie an der Lipbachmündung (Südkurier, 07.07.2014)

So ganz wunderte sich Bernd Schürenberg nicht, als er Anfang April die ersten Kormorane am Seeufer mitten im Naturschutzgebiet „Lipbachmündung“ entdeckte. Der Ornithologe, der diese 1983 unter Schutz gestellte Zone in Fischbach seit Jahren beobachtet, das Geschehen hier dokumentiert, hat schon 2013 festgestellt, dass sich zumeist 20 bis 30 Kormorane gern auf den Pfosten des Schilfschutzzaunes ausruhen. Doch was der erfahrene Vogelkundler aus Immenstaad am 10. April erlebte, kam auch für ihn völlig überraschend. Zirka 420 der großen Vögel mit ihrem markanten, schwarz-glänzenden Gefieder zählte er, die vor Immenstaad-Ost und westlich der Dornier-Mole auf Fischfang gingen.

Ein Großteil dieses Trupps, der „fast überfallartig“, so Bernd Schürenberg, hier eingeflogen war, beschloss diesmal aber zu bleiben, sich sogar „häuslich“ niederzulassen. Bereits zwei Wochen später registrierte der Ornithologe die ersten vier Nester, die die Kormorane auf den Silberweiden am Grenzhofhorn gebaut hatten. Am 5. Mai waren es bereits acht Nester, am 21. Mai 16. Fasziniert, aber auch ein bisschen erschreckt über die Ansiedlung einer neuen Kormoran-Brutkolonie in „seinem“ Naturschutzgebiet, informierte Bernd Schürenberg die Ornithologische Gesellschaft Baden-Württemberg, die ihrerseits eine offizielle Zählung des Bestands veranlasste. Die fand Anfang Juni statt. Mit dabei: Julia Gaye-Siessegger, die sich als Wissenschaftlerin der Fischereiforschungsstelle in Langenargen seit Jahren mit der Entwicklung der Kormoran-Population in Baden-Württemberg beschäftigt und gerade ihren Forschungsbericht veröffentlicht hat (siehe Infokasten).

Gezählt wurden nun sogar 27 Nester auf zwei Silberweiden im Naturschutzgebiet Lipbachmündung, auf denen Kormorane am liebsten nisten – was den Bäumen allerdings nicht gut tut. In relativ kurzer Zeit sind die Baumkronen kahl und vom aggressiven Kot der Vögel arg in Mitleidenschaft gezogen. „Damit wäre das die vierte Brutkolonie der Kormorane am Bodensee“, stellt Julia Gaye-Siessegger fest. In diesem Jahr nisteten zudem 172 Brutpaare des Frischfressers am Untersee des Bodensees. 84 wurden im Eriskircher Ried gezählt, das der Kormoran erst 2009 neu „besiedelt“ hat. 45 Brutpaare wurden in der Nistkolonie an der Fußacher Bucht in Österreich festgestellt. Die Zahl der Kormorane, die sich insgesamt am Bodensee tummeln, sind freilich deutlich höher. „Allein am Untersee wurden im vergangenen Juni 900 Vögel gezählt, die da Schlafplätze haben“, erklärt Julia Gaye-Siessegger.

Am Dienstag hat Bernd Schürenberg die Kormorankolonie an der Lipbachmündung nochmals kontrolliert. „Es war ein unglaubliches Herumgefliege und viel Unruhe, weil die ersten 15 bis 20 Jungvögel ihre Nester verlassen hatten und zusammen mit den Altvögeln ihre Runden drehten“, berichtet der Ornithologe. Ein Teil der Brutpaare sitze aber noch auf den Eiern oder „hudert“ (also wärmt) die erst vor kurzem geschlüpften Nestlinge. Erst gegen 20 Uhr sei Ruhe eingekehrt, sodass er durchzählen konnte: „Insgesamt waren es 181 Kormorane auf den Silberweiden vor dem Grenzhof.“

 

Forschungsergebnisse zum Kormoran

Wissenschaftliche Erkenntnis: Julia Gaye-Siessegger hat nach vierjähriger Forschung nun nachgewiesen, dass durch die Nahrungssuche des großen Kormoran-Bestands am Untersee des Bodensees „durchaus ein fischereiwirtschaftlicher Schaden entsteht“. Das Fazit ihrer Arbeit gründet hauptsächlich auf der Untersuchung des Mageninhalts von Kormoranen, die jeweils im Winterhalbjahr von 2011 bis 2013 am Untersee geschossen, also „vergrämt“ wurden – rund 200 pro Jahr. 40 Prozent aller Fische, die die Wissenschaftlerin im Bauch der Kormorane feststellte, waren junge Barsche (Kretzer).

Kormoran kontra Fischer: Zumindest beim Kretzer sorge der Kormoran also messbar für einen deutlich geringeren Ertrag der Fischer. Der Anteil an Felchen in der Kormorannahrung sei mit rund sieben Prozent Gewichtsanteil jedoch moderat, was die Ausnahmeregelung zum Abschuss der Vögel insbesondere an den Netzen der Berufsfischer im Winterhalbjahr rechtfertige, meint Julia Gaye-Siessegger. Welche Auswirkungen der Kormoran am Untersee hat, zeigen die Zahlen: Hier haben die Berufsfischer im Jahr 2012 rund 150 Tonnen Fisch gefangen. Bei 500 Kormoranen, die zusammen täglich bis zu 250 Kilo fressen, landen aufs Jahr hochgerechnet etwa 90 Tonnen Fisch in den Bäuchen der Tiere. Wie gefräßig die Vögel sind, erklärt die Wissenschaftlerin an einem ihrer kuriosen Funde: Der größte Fisch, den sie im Bauch eines Kormorans fand, wog 800 Gramm, war „am Stück“ und füllte den Vogel quasi vom Schlund bis zum Bürzel aus. Ein ausgewachsener Kormoran wiegt etwa 2,5 Kilo – ohne „Fischfüllung“.

Kormoran-Management: Die Stimmen aus der Berufsfischerei würden lauter, so Julia-Gaye-Siessegger, dass man ein Kormoran-Management für den gesamten Bodensee brauche. Das gibt es bisher nur für den Brutplatz an der Fußacher Bucht in Österreich. Hier hätten sich alle Beteiligten – auch die Naturschützer und Vogelkundler – auf eine Bestandspflege von 30 bis maximal 60 Brutpaaren und 300 bis 350 Sommervögeln geeinigt. Werden mehr Tiere gezählt, darf der Überbestand reduziert werden. (kck)